Zukunft Schienenverkehr – Interview mit René Straube, Alstom

Warum die Zukunft des Schienenverkehrs jetzt gestaltet werden muss

18.11.2021 | Ein 10-Punkte-Papier mit Forderungen an die künftige Regierung hat René Straube, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei Alstom, am 29. Oktober beim Aktionstag der IG Metall vor dem Berliner Reichstag vorgestellt. Ziel war es, gerade während der laufenden Koalitionsverhandlungen Einfluss auf die zukünftige Weichenstellung der Politik für den Schienenverkehr zu nehmen. René Straube erklärt die Forderungen und Hintergründe in einem Interview.

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René, welche Forderungen an die Politik sind derzeit am wichtigsten?
Um das Ziel des neuen Klimaschutzgesetzes zu erreichen, den Kohlendioxidausstoß bis zum Jahr 2045 auf die Netto-Null zu bringen, sind immense und konkrete Maßnahmen notwendig. Klar ist, dieses Ziel ist im Mobilitätssektor nur mit einer starken europäischen und deutschen Bahnindustrie realistisch. Deshalb ist eine unserer Kernforderungen, dass die Bundesregierung jetzt endlich bei öffentlichen Aufträgen den Wettbewerb fair und gerecht gestalten muss. Es hilft weder dem Klima noch den Beschäftigten, wenn wir unsere Innovationen nicht umfassend auf die Schiene bringen.

Was bedeuten das Klimaziel für den Schienenverkehr und die Bahnindustrie?
Wir müssen die Passagierzahlen der Bahn um 70 Prozent steigern, den Güterverkehr um 60 Prozent ausbauen und den Nahverkehr um 100 Prozent erhöhen, wenn wir das Klimaschutzgesetz einhalten wollen. Die Bundesregierung muss deshalb massiv investieren. Wir brauchen wieder mehr Schienen, nicht weniger, wie in den letzten Jahrzehnten. Wir müssen investieren in die Elektrifizierung des Netzes und wo das nicht möglich ist, Infrastruktur für Wasserstoff und Batteriebetrieb schaffen. Es muss für eine sichere Digitalisierung gesorgt werden, um eine bessere Nutzung des Netzes zu gewährleisten.

Ist das realistisch? Gerade in den ländlichen Regionen?
Ja natürlich! Seit der Zusammenlegung der Streckennetze von Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn im Jahr 1994 ist das Netz von 44.600 auf 38.400 Kilometer verkleinert worden. Eine Reaktivierung vieler dieser stillgelegten Strecken ist geradezu unumgänglich. Die Reaktivierung ist auch sinnvoll, weil sie schnell zu realisieren ist. Für ein Neubauprojekt werden in Deutschland rund 20 Jahre veranschlagt.

Wie ist derzeit die Lage in der Branche?
Die realen Zahlen zeigen, dass der Auftragseingang im 1. Halbjahr 2021 um 7 Prozent gesunken ist. Wenn also weniger rollendes Material und Infrastruktur beauftragt werden, ist das kein gutes Zeichen, sondern wirklich bedenklich!

Was kann die Politik ausrichten?
Es braucht natürlich in erster Linie enorme Investitionen in den Bahnsektor, darum werden wir angesichts unserer Klimaziele nicht herumkommen. Dazu müssen schnell und konsequent Entscheidungen durch die neue Bundesregierung getroffen werden.

Welche Rahmenbedingungen brauchen wir noch?
Neben den genannten Investitionen benötigen wir gezielte Innovationsprogramme und einen Ausbau der Forschung. Außerdem sind Fachkräfte für die Branche ein großes Thema. Das bedeutet, wir brauchen attraktive Arbeitsplätze. Außerdem müssen Beschäftigte in der digitalen Transformation mitgenommen werden. Das geht nur mit zielgerichteter Qualifizierung.

Wie ist denn die Lage bei Alstom?
Sicher werden die Entwicklungen bei Alstom nach der Bombardier-Übernahme aufmerksam verfolgt, für uns Beschäftigte stellen vor allem die richtigen politischen Weichenstellungen die beste Arbeitsplatzgarantie dar. Wichtig ist ein gerechter Wettbewerb. Den haben wir nur, wenn durch die Regierung unsere Forderung nach einem festgeschriebenen innereuropäischen Fertigungsanteil, ein sogenannter Local Content, erfüllt wird. Die Vergabe öffentlicher, steuerfinanzierter Aufträge muss an diese Bedingung geknüpft sein, denn die Arbeit gehört dahin, wo die Steuern gezahlt werden. Nur so kann übrigens verhindert werden, dass wir unsere Verkehrs- und damit verbundenen IT-Lösungen perspektivisch aus Asien importieren müssen.

Danke für das Interview, René!

Das Interview führte Andrea Weingart.

 

Von: aw

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