13.02.2024 | Tarifbindung, Erschließung, Organisationswahlen und Landtagswahl – die kommenden Monate haben es in sich. Uwe Garbe, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostsachsen, blickt im Interview auf die Herausforderungen, denen sich die IG Metall stellt.
Lieber Uwe, der erste Monat des neuen Jahres ist rum …
Uwe: … ja, und der hatte es gleich in sich. Bei Borbet haben die Tarifverhandlungen in konstruktiver Atmosphäre begonnen. Das lässt hoffen, dass für die rund 560 Kolleginnen und Kollegen schon ganz bald ein neues Zeitalter beginnt: Arbeiten mit Tarifvertrag. Bemerkenswert sind auch die vielen Demos für Demokratie, die überall in Deutschland Tausende von Menschen auf die Straße bringen, auch in unserer Region.
Womit wir schon mittendrin sind im Jahr 2024. Zu Beginn unseres Interviews würde ich aber gern noch mal einen Blick zurück werfen auf 2023 und Bilanz ziehen. Was waren im vergangenen Jahr wichtige Themen der IG Metall Ostsachsen?
Uwe: Womit soll ich anfangen? Als Gewerkschaft werden wir natürlich an unseren Tariferfolgen gemessen. Ein solcher ist uns zum Beispiel beim Reisemobilhersteller Capron in Neustadt gelungen. Nach sehr langwierigen Verhandlungen konnten wir den Einstieg in die Tarifbindung und ein Gesamtpaket durchsetzen, das den Kolleginnen und Kollegen deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen beschert, kräftig mehr Geld und ein transparentes und faires Entgeltsystem bedeutet. Und was mit tariflichen Möglichkeiten machbar ist, haben wir auch bei Accumotive in Kamenz gezeigt. Dort haben wir mit Hilfe unserer tariflichen Instrumente die Herausforderung angenommen, die Umstellung der Produktion auf die neue Produktgeneration zu meistern. Mit Erfolg! Unser Ziel war es, Beschäftigung und Know-how am Standort langfristig zu sichern. Das ist leider nicht immer möglich, weil es dazu auch den unbedingten Willen von allen Beteiligten braucht. Dass das nicht selbstverständlich ist, hat uns 2023 leider auch deutlich vor Augen geführt …
Ein Beispiel?
Uwe: Waggonbau Niesky. Der lange Kampf unserer Kolleginnen und Kollegen für den Erhalt ihres Standorts hat uns sehr bewegt. Am Ende war er leider trotz aller Bemühungen auf unterschiedlichsten Ebenen nicht erfolgreich, insbesondere weil von Seiten des slowakischen Eigentümers nicht die geringste Gesprächsbereitschaft vorhanden war. Immerhin ist es uns am Ende gelungen, eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft zu gründen. Ein Minimalerfolg, der die Beschäftigten zumindest beim Übergang in eine neue berufliche Perspektive unterstützt. Aber auch in anderer Hinsicht stimmt mich der Verlauf in Niesky traurig. Die Absicht der Politik, mehr Güter auf die Schienen zu bringen, um die Verkehrs- und Klimawende zu schaffen, ist angesichts der Entwicklung in Niesky – dem letzten Güterwagenhersteller Deutschlands – offensichtlich nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Hoffen wir mal, dass die Politik an anderen Stellen ihren Beitrag leistet …
Konkret?
Uwe: Ganz spontan fällt mir da Alstom ein. Mit dem Abschluss des Zukunftstarifvertrags im Frühjahr bieten sich vielfältige Chancen unsere beiden Alstom-Standorte in Görlitz und Bautzen nachhaltig weiterzuentwickeln und zukunftsfähig aufzustellen. Die Beschäftigten haben ihren Teil der Vereinbarung eingehalten. Jetzt ist Alstom am Zug, endlich die Weichen in die richtige Richtung zu stellen und Aufträge in Bautzen und Görlitz einzulasten. Dazu braucht es aber eben auch den Druck aus der Politik, die dafür sorgen muss, dass Local Content ein wesentlicher Bestandteil der zukünftigen Beschaffungsstrategie in Deutschland sein muss. Weil das so wichtig ist, haben wir dieses Thema auch in zukunftsweisenden Anträgen auf dem Gewerkschaftstag eingebracht.
Der Gewerkschaftstag ist ein gutes Stichwort. Er hat im Herbst die Weichen in die Zukunft gestellt. Was habt Ihr aus Frankfurt mitgebracht?
Uwe: Die Erkenntnis, dass wir mit unseren Anträgen den Nerv der Zeit treffen. Alle vier Anträge fanden Zustimmung und sind Teil der künftigen Ausrichtung unserer IG Metall. Daneben haben wir aber auch trotz intensiver und kritischer Debatten eine große Geschlossenheit und positive Stimmung gespürt. Wir haben viel Schwung für unsere Geschäftsstellenarbeit mitgenommen.
Nach dem Gewerkschaftstag stehen traditionell die Organisationswahlen auf dem Programm? Wie sieht da Euer Zeitplan aus?
Uwe: Wir bereiten gerade die betrieblichen Mitgliederversammlungen mit unseren Vertrauensleuten vor. Parallel dazu finden unsere zwei regionalen Mitgliederversammlungen für die Landkreise Bautzen und Görlitz statt. Im Rahmen dieser Versammlungen werden die Delegierten der neuen Delegiertenversammlung gewählt. Die wird künftig aus 51 Delegierten bestehen. Alle strukturbestimmenden Betriebe unserer Region sind in der neuen Delegiertenversammlung vertreten – und natürlich auch Kolleginnen und Kollegen unserer außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit. Die konstituierende Delegiertenversammlung ist dann am 19. April. Dort wird dann auch der Ortsvorstand gewählt, der sich auch ein bisschen verändern wird. Wir werden zum Beispiel einen neuen Zweiten Bevollmächtigten wählen. Ich bin sicher, wir sind für die Herausforderungen der kommenden vier Jahre gut aufgestellt. Und das ist gut so. Denn Herausforderungen gibt es viele.
Welche Herausforderungen siehst Du jetzt schon?
Uwe: In vielen Betrieben unserer Region sind gewerkschaftliche Strukturen – Betriebsräte und Tarifverträge – leider keine Selbstverständlichkeit. Dabei ist hinlänglich bewiesen, dass sowohl Mitbestimmungsstrukturen als auch faire und gute Arbeitsbedingungen, die es nur mit Tarifverträgen gibt, Standortvorteile sind. Für die Region und für die Arbeitgeber.
Warum?
Uwe: Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel sind das wichtige Argumente, die Arbeitgeber nutzen sollten. Wenn Beschäftigte sich die Arbeitsplätze aussuchen können, bevorzugen die natürlich jene, wo sie gute Bedingungen vorfinden. Wir wollen deshalb das Thema Neuerschließung von Betrieben wieder verstärkt angehen. Da waren wir in den vergangenen Jahren schon gut unterwegs, Capron oder Accumotive habe ich ja eingangs schon erwähnt. Erfolge wie diese wollen wir fortsetzen. Und mit unserer neuen Kollegin Anna-Lena Brand haben wir uns im Team auch personell verstärkt. Wir sind gut aufgestellt, um diese Aufgabe erfolgreich zu meistern.
Du hast das Thema Fachkräftemangel angesprochen. Das ist auch bei Euren Betriebsrätenetzwerk-Treffen in diesem Jahr der Schwerpunkt …
Uwe: Aus gutem Grund: Betriebsräte haben Möglichkeiten, auf die Personalplanung Einfluss zu nehmen. Dafür müssen sie ihre Rechte aber auch kennen. Bei den Treffen, die in jedem Quartal einmal stattfinden, kriegen die Kolleginnen und Kollegen jede Menge theoretisches Wissen mit auf den Weg. Aber, und das ist wirklich von großem Nutzwert, es geht auch in die Praxis. Das heißt, wir gucken ganz konkret auf die Betriebe und wie es um deren Personalplanung bestellt ist. Dabei unterstützen sich die Kolleginnen und Kollegen aus den unterschiedlichen Betrieben gegenseitig, sie tauschen sich aus, geben Tipps weiter, was bei ihnen im Betrieb funktioniert hat und was nicht. Da fließen unheimlich viel Synergien. Das macht das Netzwerk so wertvoll. Interessierte können übrigens jederzeit einsteigen. Die Termine stehen für 2024 schon fest: 16. April, 3. September sowie 26. und 27. November.
Ein wichtiger Termin für Sachsen und auch für die künftige Entwicklung der Industrie ist die Landtagswahl am 1. September. Wie geht Ihr dieses Thema an?
Uwe: Ganz aktiv. Die Wahl ist schließlich richtungsweisend und hat enormen Einfluss auf Wirtschaft, Gesellschaftspolitik und den respektvollen Umgang miteinander. Den Auftakt haben wir bereits im vergangenen Jahr mit unserem Vertrauensleuteseminar im Bildungszentrum Berlin gemacht. Dort haben wir uns intensiv mit dem Thema Landtagswahl in Sachsen auseinandergesetzt und über mögliche Formate, die wir im Vorfeld der Wahl planen, gesprochen. Wir wollen zum Beispiel die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben fragen, welche Wünsche und Forderungen sie an die Politik haben. Oder wir wollen mit Politikerinnen und Politikern der Parteien ins Gespräch kommen und Wahlprogramme der Parteien gegenüberstellen. Die IG Metall steht für Demokratie und Vielfalt in unserem Land. Wir engagieren uns dafür, dass diese Werte Zukunft haben.
Wann wäre 2024 aus Deiner Sicht ein gelungenes Jahr?
Uwe: Wenn wir auch in diesem Jahr wieder viele Kolleginnen und Kollegen begeistern können, sich aktiv für mehr Wertschätzung und Anerkennung ihrer Arbeit einzusetzen. Wenn wir weitere Betriebe erfolgreich erschließen und die Tarifbindung weiter stärken, das Thema Angleichung der Arbeitszeit weiter voranbringen und langfristig tragfähige Perspektiven für unsere Standorte im Schienenfahrzeugbau hinzubekommen.
Das hört sich nach viel Arbeit an.
Uwe: Ja, wir wollen dazu beitragen, die Region voranzubringen. Ich bin überzeugt: Ostsachsen ist Zukunft. Das ist unser Motto. Dafür arbeiten wir. Jeden Tag!